Kita, Schule und Co.: Wie viel Schenkerei muss eigentlich sein?

Die Sommerferien stehen vor der Tür und damit beginnt spätestens jetzt die große Abschiedstournee. Jedes Schuljahr, jedes Kindergartenjahr, jedes Sportvereinsjahr wird noch einmal zelebriert und jedes Mal werden Lehrer*innen, Erzieher*innen und Trainer*innen mit einem kleinen Geschenk verabschiedet — nicht immer zur Freude aller Beteiligten.

Der Umfang dieser „kleinen Geschenke“ kann durchaus variieren: angefangen bei einem Strauß Blumen über Tassen bis hin zu Restaurantgutscheinen oder gar einer Gartenbank. „Das ist manchmal richtig unangenehm“, erzählt mir meine Freundin Merle. Sie ist Lehrerin und sagt offen, dass sie sich nicht über jedes Geschenk freuen kann. Aber dazu gleich mehr.

Inzwischen gibt es diese Geschenke ja nicht nur zum Kita- oder Schulabschluss, sondern zum Abschluss eines jeden Jahres, Halbjahres, zu Weihnachten, zum Geburtstag, nach einer Klassenfahrt oder einfach nur so. Diese ganze Schenkerei ist in fast allen Fällen nett gemeint, aber nicht selten unproblematisch. Zunächst für uns Eltern: Manche können sich diese vielen, vielen kleinen Aufmerksamkeiten in der Summe schlicht nicht leisten. Vor allem dann nicht, wenn sie mehrere Kinder haben. Manche wollen es vielleicht auch nicht, haben aber wenig Lust auf den Geizkragen-Stempel. Das Problem: Wenn alle etwas schenken, kann man sich dem Ganzen schlecht entziehen ohne dass es einen faden Beigeschmack hinterlässt.

Schwierig ist es aber oftmals auch für die Beschenkten. Zunächst weil zumindest die Verbeamteten eigentlich gar keine Geschenke annehmen dürfen; zu schnell liegt der Vorwurf der Bestechlichkeit im Raum. Das Schulministerium in NRW etwa beschränkt die zulässige Schenkerei auf geringwertige Aufmerksamkeiten. So kann ein gut gemeinter Gutschein über 30 Euro Lehrer und Lehrerinnen in Konflikte bringen: Nehmen sie es an, riskieren sie Ärger mit ihren Vorgesetzten, lehnen sie es ab, empfinden es die Schenkenden vielleicht als unhöflich.

Mein Gefühl ist auch, dass wir Eltern beim Verschenken vielleicht ein bisschen die aus dem Blick verloren haben, um die es eigentlich doch geht: Die Kinder und die Personen, die sich bestenfalls gut um sie gekümmert haben. Freuen sie sich wirklich über die sechste Tasse? Fragen wir sie doch einfach selbst! Weil ich über die Offenheit meiner Lehrerin-Freundin neulich so dankbar war, habe ich mich ein bisschen bei den Lehrer*innen in meinem Umfeld umgehört und gefragt, was sie eigentlich gerne geschenkt bekommen und was sie mit unliebsamen Geschenken machen.

Carina*, 33, Sonderpädagogin:
„Am besten gefallen mir wirklich persönliche Dinge von den Kindern, für die auch nicht viel ausgegeben werden muss. Neulich habe ich von einer Gruppe Eltern einen Korb geschenkt bekommen mit Dingen, die ich im Lehreralltag gut gebrauchen kann, wie Textmarker und so, die dann personalisiert wurden mit Wünschen. Das fand ich ganz toll, so denke ich oft an die Kinder und die Familien, weil ich das eben oft gebraucht habe.
Was ich nicht gebrauchen kann sind so Stehrümchen wie Vasen, Tassen, Teller und bemalte Leinwände. Ich habe gar nicht so viel Platz und will auch nicht die ganze Wohnung damit zukleistern. Der andere Teil meiner Familie kann damit auch nicht so viel anfangen und so groß ist ja mein Büro auch wieder nicht. Gleichzeitig schmeiße ich ungern Geschenke weg. Also steht dann die nächste Schneekugel wieder irgendwo im Regal.“

Katrin, 40, Berufsschullehrerin:
„Das schönste Geschenk war ein Gedicht einer Klasse, indem sie die drei Jahre sehr schön zusammen gefasst haben. Ich hatte der Klasse mal irgendwann erzählt, dass ich ein Tattoo habe, aber nicht was und wo. Das würde ich ihnen erzählen, wenn sie den Abschluss hätten. Ich bin davon ausgegangen, dass sie es vergessen. Letzter Satz im Gedicht: Was jetzt noch zu klären bleibt, ist das Tattoo aus ihrer Jugendzeit. Clevere Mädels. Letztes Jahr bekam ich ein sehr persönliches Fotoalbum einer Klasse. Alles so Heul-Momente für mich. Skurril war folgendes: ein kleines Fläschchen mit buntem Sand gefüllt, in dem ein Kamel abgebildet war und mein Vorname drin stand. Habe ich aber noch irgendwo. Kann sowas nicht wegwerfen, hat ca. ne 5-Jahreschance zu bleiben oder bis zum nächsten Umzug.“

Matthias, 32, Lehrer an einer Gesamtschule:
„Sach-Geschenke für Lehrer sind tatsächlich manchmal eher Ausdruck von weniger Beziehung. Tee, Marmelade oder ein T-Shirt sind nett und deshalb wohl auch weit verbreitet. Eine persönliche Botschaft, ob Bild, Brief oder Video, sagt mir aber viel mehr über die Beziehung zu einer Klasse, als investiertes Geld in unpersönliche Geschenke. Den Tee schmeiße ich direkt in den Müll, Shirts werden kurzzeitig wegen der Höflichkeit archiviert. In der Regel verwahre oder nutze ich die Geschenke aber eher nicht.“

Clara, 34, Realschullehrerin:
„Meine Geschenke waren tatsächlich immer toll: Orchidee und nette Worte und zwischendurch (vor Ferien), Kräutergartentopf, kleine Vasen mit Blumen, Teelichthalter in Sternförmig, Teebecher to go. Wird alles hingestellt und benutzt. Und ich habe mich gefreut.“

Lena, 32, Grundschullehrerin:
„Gerade Familien aus aus anderen Ländern schenken oft alleine Dinge, sei es zum Geburtstag, Ostern etc. und da hab ich von Pralinen, Blumen, Tassen, Wellnessprodukten bis Schmuck schon fast alles bekommen, was ich eher unangenehm fand. Vieles entsprach auch einfach gar nicht meinem Geschmack und weil wir ja so teure Geschenke theoretisch auch gar nicht annehmen dürfen. Gerade wenn es keine Gemeinschaftsgeschenke sind, liegt der Verdacht der Bestechung oder des Einschleimens für den Schulerfolg einfach schnell im Raum. Diesen Eltern habe ich das dann meistens ein mal erklärt, da sie es aus ihren Herkunftsländern einfach anders kannten und in der Regel haben sie es dann gelassen. Als Gemeinschaftsgeschenk habe ich vor allem Blumen und Bilder und Texte von den Kindern bekommen, was ich super finde. Natürlich kann man nicht jedes Bild aufheben, aber so zusammengeheftete Abschiedsbücher von einer Klasse behalte ich schon. Je nachdem wie voll der Klassenraum so ist, finde ich auch was mit Fotos zum aufhängen gut, habe zum Beispiel eine Uhr mit Foto der letzten Klasse im Klassenraum. Aber klar, das würde man aber eben nicht privat aufhängen. Ich habe auch schon einen Shopping-Gutschein bekommen, das war nett, aber mir auch irgendwie unangenehm, weil es so viel Geld war und absolut nichts mehr mit den Kindern zutun hatte.“

Nina, 49, Grundschullehrerin:
„Ich freue mich ehrlich immer über die Geschenke, weil das eine Wertschätzung ist. Es gab noch keins, was ich weggeworfen habe. Die Einkäufer hatten immer Geschmack und die Kinder haben viel Liebe reingesteckt. Bilder habe ich aufgehängt und weggeschmissen als die Kinder nicht mehr in der Schule waren. Aber ich erwarte tatsächlich keine Geschenke. Wenn ich aber keine gemalten Bilder mehr bekommen würde, wüsste Ich, dass ich bei den Kindern nicht mehr ankomme.“

Merle, 41, Berufsschullehrerin:
„Grundsätzlich finde ich Geschenke zu jedem Jahresende unangemessen. Zum Schul- oder Kita-Abschluss ist das natürlich in Ordnung. Gerade zum Ende des Schuljahres kommen mehrere auf die Idee mal ein Pfund Kaffee oder ein paar Kekse mitzubringen. Das finde ich aber auch netter, wenn das dann mittendrin im Jahr mal ist, dann machen das nicht alle. Geschenke zum Schulabschluss sind immer schön, wenn die wirklich persönlich auf die Person zugeschnitten sind und eher einen Witz oder eine kleine Aufmerksamkeit beinhalten. Auf keinen Fall etwas, das preislich in einem höherem Segment liegt. Ich freue mich über Blümchen oder Schokolade. Das skurrilste Geschenk war neulich von einem Schüler, der eine Klausur nicht mitgeschrieben hatte. Der brachte mir Currywurst mit Pommes vorbei. Ich fand das super, war aber auch ein bisschen peinlich. Kleidung oder T-Shirts kommen eher doof an. Dann lieber Schreibwaren verschenken. Aber ich sag mal so: Das ist unser Job, da braucht man nichts zu schenken. Viel schöner finde ich es, wenn sie selbstorganisiert ein Frühstück vorbereiten oder einen Grillabend und einen dazu einladen.“

Laura, 32, Lehrerin am Gymnasium:
„Ich liebe es Geschenke zu bekommen. Deshalb bin ich offen und freue mich über fast alles. Wenn ich allerdings Deko für meine Wohnung von einer Klasse bekomme (irgendein undefinierbares Ding zum Aufhängen), Tee oder Kaffeeuntersetzer, dann muss ich mich schon zusammen reißen und tapfer lächeln. Ich habe auch schon schöne Geschenke bekommen, vor allem zur Hochzeit gab es Selbstgebasteltes. Das war niedlich, aber ich kann überhaupt nicht sagen, wo es gelandet ist. Wenn es gut läuft, in irgendeiner Kiste; wenn nicht, dann im Müll. Die Anteilnahme hat mich gefreut. Zwei Schüler meines ersten LKs haben mir auf dem Abiball einfach so, abseits des Geschehens einen dicken Strauß Blumen geschenkt. Da hab ich mich wirklich sehr drüber gefreut. Meine 9. Klasse die ich im Ref hatte, hat mir einen Gutschein für ihren Abiball geschenkt, der ja drei Jahre später sein sollte. Da ich an eine andere Schule gegangen bin, fand ich das toll. Schokolade geht übrigens immer! Da freuen sich alle Kollegen im Lehrerzimmer.“

Verena, 34, Lehrerin am Gymnasium:
„Toll finde ich immer Dinge, die selbstgemacht sind — problematisch wird es eher, wenn klar ersichtlich ist, dass die Geschenke mehr als 5 Euro gekostet haben – die darf ich eigentlich nicht annehmen. Besonders süß fand ich ein Video von meiner Klasse zu unserer Hochzeit – da haben alle Kinder ihre Wünsche (jeweils einen kleine Satz) hintereinander aufgesagt. Selbstgemacht Dinge sind wirklich am Schönsten!
Schön, aber auch ein bisschen schräg war mal ein rotes Pappherz mit aufgeklebtem Lolli und der Aufschrift: unsere Liblingsmathelehrerin (genau so geschrieben). Ein Highlight war ein kleiner blauer Papagei von Schleich von meiner „blauen“ Klasse (bei uns an der Schule haben alle 5. & 6. Klassen eine bestimmte Farbe…). Mein absoluter Favorit war ein kleiner Babybody mit der Aufschrift: „Heute mache ich mein Seepferdchen“ von meinem Sportkurs aus der Oberstufe.“

*(alle Namen wurden geändert, um die Anonymität zu wahren)

An euch, ihr jungen Mamas

Als ich damals eine erste Tochter zur Welt gebracht habe, hatte kaum jemand in meinem Umfeld Kinder. Dass ich so jung Mutter wurde, hatte viele gute Seiten, aber manchmal haben sie mir gefehlt, die anderen Mütter. Ich hätte mir jemanden gewünscht, eine Sparringspartnerin im Mama-Ring, an der und mit der ich hätte wachsen können. Ich habe mir ein paar Gedanken darüber gemacht, was mir damals geholfen hätte, was mir meine Mama-Partnerin hätte sagen können. Und weil ich nun so ungern Selbstgespräche führe, schreibe ich an euch, ihr jungen Mütter, was ich gerne schon vor neun Jahren gewusst hätte.

Liebe junge Mama,
vor gar nicht all zu langer Zeit hast du ein Kind zur Welt gebracht. Vielleicht ist es nur wenige Tage her, vielleicht ein paar Wochen, Monate oder wenige Jahre. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich finde die Anfangszeit mit Baby wahnsinnig spannend — und ziemlich aufwühlend. Gerade deshalb möchte ich dir gerne etwas sagen:

Genieße das Wochenbett. Im Ernst: Leg dich hin, ruh dich aus. Lass dich bedienen! Das geht beim ersten Kind und das geht auch, wenn du schon mehrere Kinder hast. Auch für die wirst du noch ganz oft ganz viel da sein. Jetzt kümmerst du dich um dich. Du hast gerade ein Kind zur Welt gebracht, was krasseres gibt es ja wohl nicht?!

Denk daran: Du bist genau die richtige Mutter für dein Kind! Informiere dich, tausche dich mit anderen Eltern aus. Und schau dann, was sich für dich gut und richtig anfühlt.

Du musst jetzt noch nicht alle Antworten haben. Du wächst gemeinsam mit deinem Kind und mit jedem Jahr wächst auch dein Erfahrungsschatz. Du musst jetzt noch nicht wissen, wie du pubertäre Gefühlsausbrüche händelst. Gerade will sich dein Baby einfach geborgen fühlen — und dafür reicht meist Wärme, Nahrung und Körperkontakt.

Gesteh dir zu fehlbar zu sein. Du wirst nicht alles perfekt hinkriegen, aber vertraue in dich und in die Widerstandsfähigkeit deines Kindes. Wir wären als Menschheit nicht so weit gekommen, blieben bei jedem kleinen Nervenzusammenbruch einer Mutter traumatisierte Kinder zurück.

Aber gib auch Acht auf dich. Sich hin und wieder zu reflektieren heißt nicht, sich selbst stets infrage zustellen. Aber die Reflektion kann helfen, nachzujustieren um irgendwann bestimmte (destruktive) Muster zu verlassen.

Du willst nicht so `ne Mutti sein, sondern eine echt coole Mama? Entspann dich und mach dir nicht so viele Gedanken um deine Wirkung. Du musst niemandem beweisen, wie stark, cool oder locker du bist. Trau dich, einfach bei dir zu sein.

Lass dich berühren von diesem Kind und schau, was das Muttersein mit dir macht. Freu dich auf dein neues Ich, denn du bist vermutlich nicht mehr die gleiche Person, die du vorher warst. Manches wird dir bekannt vorkommen, einiges ist neu. Lass dich darauf ein und habe keine Angst. Mag sein, dass sich nun, wo du Mutter bist, manche Türen schließen — aber so viele neue werden sich öffnen!

Mach dir nicht so viele Sorgen! Ja, die Welt wirkt plötzlich so viel gefährlicher. Aber das ist sie nicht. Wir haben keine Garantie auf Gesundheit und Unversehrtheit, aber hier in unseren Breitengraden haben unsere Kinder eine große Chance ziemlich alt zu werden.

Hör auf deine Bedürfnisse. Du musst nicht nach einer bestimmten Zeit wieder hübsch aussehen, Sport machen, arbeiten gehen, Sex haben (wollen), einen ordentlichen Haushalt führen, ausgehen und zu jeder Zeit überglücklich sein. 

Aber versuche die Zeit zu genießen. Du wirst noch viele, viele Jahre arbeiten gehen. Früher als es sich jetzt gerade danach anfühlt kannst du beruflich wieder angreifen. Und dann wirst du dich in vielen Momenten nach genau dieser Babyzeit sehnen.

Und vertraue darauf, dass vieles wiederkommt. Der Schlaf zum Beispiel. Irgendwann werden die Kinder tatsächlich durchschlafen. Und irgendwann wirst du nicht mehr stillen. Irgendwann kannst du wieder ausgehen, etwas trinken, feiern. Wenn du willst, kommt irgendwann die Leichtigkeit zurück. 

Warum ich das Studieren mit Kind großartig finde.

„Eltern, wo seid ihr nur?“, fragt Alu vom Blog Grossekoepfe, denn sie fühlt sich einsam beim #studierenmitKind. „Hier!“, möchte ich ihr zurufen, bis vor kurzem war ich eine von euch. Und ich war es gern! Denn ich fand und finde, die Kinder im Studium zu bekommen, war eine famose Idee. Ich hatte aber auch Glück — und eine Uni, die clevere Entscheidungen getroffen hat.

Du wünschst dir mehr Eltern auf den Bänken in den Hörsälen, um gemeinsam zu kämpfen. Ich würde sofort meine Ärmel hochkrämpeln und dir zur Seite springen, liebe Alu. Nur gerade sitze ich zum ersten Mal seit 13 Jahren nicht mehr auf einer Bank in Hörsälen oder Seminarräumen. Würde es dir und anderen Eltern helfen, wenn ich erzähle, was mir geholfen hat?

Ich bin froh, dass ich mein Studium abgeschlossen habe. Lange hatte ich gehadert. Meine Kommilitonen waren nach und nach an mir vorbeigezogen. Zurück an der Uni kam ich mir vor wie ein Fossil. Irgendwann habe ich mir ganz bewusst die Frage gestellt, wie das jetzt weitergehen soll. Und als ich die bewusste Entscheidung fürs Weiterstudieren getroffen habe, zog ich es auch durch. Ich weiß, manche Tage oder Wochen sind einfach kacke. Manche Profs sind ätzend. Und trotzdem: Liebe Eltern an den Unis, haltet durch! Es wird besser. Vor allem aber habt ihr euren Kommilitonen einiges voraus. Wenn sie sich nach ihrem Abschluss das Hirn darüber zermartern, wann den nun der richtige Zeitpunkt fürs Kinderkriegen ist, könnt ihr euch zurücklehnen; euer Kind geht jetzt vermutlich längst in Kita oder Schule und ihr erobert euch eure Freiheiten zurück.

Ich habe alle drei Kinder in meiner Unizeit bekommen. Das war nicht immer nur einfach. Und trotzdem würde ich am liebsten schreien: „Bekommt die Kinder noch im Studium, das ist großartig!“ Zum ersten Mal wurde ich mit 23 Mutter, dann mit 27 und dann noch mal mit 31. Was sich hieraus schon einmal ableiten lässt: Ich habe nicht in Regelstudienzeit studiert. Gerissen habe ich sie im Grunde aber auch nur um ein Semester (mehr dazu bei Punkt 5).

Ich habe den ganzen Morgen darüber nachgedacht, was mir tatsächlich dabei geholfen hat, Uni, Job und Familie zu wuppen. Das waren natürlich unterschiedliche Faktoren, persönliche, aber auch strategische von Seiten der Uni: 

1. Der Zeitpunkt war günstig.

Ich hab Journalistik und Psychologie studiert — noch auf Diplom. Der Studiengang war so aufgebaut, dass zwischen Grund- und Hauptstudium das Volontariat lag, unsere journalistische Ausbildung quasi. Das hatte ich schon hinter mir, als ich schwanger wurde. Ebenso ein längeres Pflichtpraktikum in einer anderen Stadt.

2. Ich konnte Träume ziehen lassen. 

Ich wollte gerade das Thema Auslandssemester angehen, als ich den positiven Schwangerschaftstest in den Händen hielt. Ja, ich hätte auch schwanger das Erasmus-Semester machen können. Aber im Ernst: Wer bitte macht Erasmus, um nüchtern tatsächlich jede Vorlesung zu besuchen und abends müde ins Bett zu fallen?! Das Auslandssemester habe ich mir also geknickt. Das fand ich schade und manchmal finde ich das auch heute noch schade, aber ich kann damit leben. Ein Personaler wird das vielleicht als Makel in meiner Vita werten, aber ich verstehe nicht, warum ein Erasmus-Semester tatsächlich fordernder und sinnstiftender sein sollte, als ein Kind zu bekommen?!  Außerdem: Wer weiß, wohin einen das Leben noch so treibt. Das Ausland läuft ja nicht weg.

3. Andere Träume habe ich trotzdem verwirklicht.

Die Elternzeit wollte ich unbedingt sinnvoll verbringen. Also sind wir kurzerhand für ein Praktikum mit Sack und Pack nach Hamburg gezogen. Wir haben unsere Wohnung aufgegeben, unsere Möbel untergestellt und uns in Hamburg eine kleine, möblierte Wohnung gemietet und das Kinderbett mitgebracht. Die zweite Elternzeit waren wir in Stockholm, da habe ich auf den Spielplätzen an meiner Studienarbeit geschrieben. Aber klar, ich habe nicht noch vier weitere unbezahlte Praktika in irgendwelchen Redaktionen absolviert. Schlimm finde ich das nicht gerade.

4. Ich war eine von wenigen.

Es gibt wenige Mütter auf dem Campus. Und Journalistinnen bekommen besonders selten Kinder. Grundsätzlich finde ich das natürlich total schade. Ich hätte mir auch gerne mehr Austausch und mehr Solidarität untereinander gewünscht. Anders als bei dir, Alu, hatte es für mich auch den Vorteil, dass ich als Exotin immer irgendwie eine Sonderrolle hatte. Die Leute auf dem Campus waren immer besonders nett, der Prof hat die Sprechstunde besonders schnell durchgezogen, wenn meine Tochter auf dem Flur spielte, und in manche Kurse wurde ich noch an der Warteliste vorbei geschleust, weil das sonst mit der Kinderbetreuung nicht hingehauen hätte. „Familienfreundlich“ war mehr als nur ein Buzzword an meiner Uni. 

5. Ich hatte Zeit.

Die Zeit ist eine der entscheidenden Faktoren, wenn wir Job und Familie und eben auch die Uni unter einen Hut bekommen wollen. Und hier hat meine Uni eine wegweisende Entscheidung getroffen: Ich war beurlaubt und konnte trotzdem Scheine, ja sogar meine Diplomprüfungen machen. Wer an unsere TU wegen der Erziehung der eigenen Kinder beurlaubt ist, darf trotzdem weiter Seminare und Vorlesungen besuchen und auch Prüfungen ablegen. So konnte ich kurz nach der Geburt meiner ersten Tochter schon ein, zwei Seminare besuchen und mein Zweitfach abschließen. Kein Chef wollte von mir wissen, wann ich mit welcher Stundenzahl wohin wiederkomme. Ich konnte ganz frei entscheiden, wann ich wie viel für die Uni machen will. Und so kommt es, dass ich zwar 13 Jahre studiert, aber dazu offiziell nur 12 Semester dazu gebraucht habe.

Ich habe es mir aber auch selbst erlaubt länger zu brauchen. Ich wollte nicht straight in der tatsächlichen Regelstudienzeit meine Uni beenden und diesem Ziel alles unterordnen. Ich wollte arbeiten (Punkt 6) und ich wollte Zeit für die Familie. Ich musste mir auch die Zeit nehmen, um für meine Abschlussarbeiten die Themen zu finden, die für mich — und vielleicht auf ein bisschen für die Gesellschaft — von Relevanz sind. So überrascht es nicht, dass ich mein Studium mit einer Diplomarbeit zur Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf beendet habe (schwanger mit Kind 3). Meine mündliche Abschlussprüfung handelte übrigens von Frauenkarrieren in den Medien. Gerade für mich als Mutter ein absolut relevantes Thema.

6. Ich war schon im Beruf.

Ich habe während meiner gesamten Unizeit schon in meinem Beruf, dem Journalismus, gearbeitet. Dort wird man nicht reich, aber das wurde ich auch nicht bei meinen Promotion-Jobs oder als ich noch gekellnert habe. Er ist vor allem aber sehr flexibel. Und durch das Schreiben konnte ich Berufserfahrung sammeln und direkt nach den Geburten weiterarbeiten und dabei eben auch studieren. Und auch hier noch mal zum Thema Zeit: Ich habe viel gearbeitet und geht so viel studiert. Meine Prioritäten waren ziemlich klar. Aber nur weil ich sie selbst setzen konnte, habe ich das auch wirklich durchziehen können.

7. Ich war einfach eine junge Mutter.

Klar, es hat auch Nachteile eine junge Mutter zu sein. Aber es gibt auch eine ganze Reihe Vorteile, allen voran die Biologie. 23 ist nun mal ein super Alter, um Kinder zu bekommen. Meine älteste Tochter ist inzwischen 9 Jahre alt, ich 32. Hätte ich nur ein Kind bekommen, es wäre wirklich aus dem Gröbsten raus und ich immer noch am Anfang meiner Karriere. In jungen Jahren steckt man übrigens auch die durchwachten Nächte (wenn das Kind zahnt oder die Abgabe der Seminararbeit ansteht) besser weg. 

Vieles lief also ganz gut. Und trotzdem fallen mir noch ein paar Dinge ein, die mein Studentenleben als Mutter leichter gemacht hätten:

1. Einen Bücher-Hol-Service in der Bib.

In der Fachbereichsbibliothek hatte ich eins der wenigen unschönen Erlebnisse als Mutter. Ich musste Bücher raussuchen und meine Tochter, damals 15 Monate alt, hatte es gewagt zu lachen. Wir wurden darauf hingewiesen, dass in der Bib Ruhe herrschen sollte. Ich hatte die unfreundliche Mitarbeiterin dann darauf hingewiesen, dass die Uni, wenn sie denn wirklich etwas für Eltern tun wolle, ihnen bei der Bücher-Suche helfen könne. Das wäre vielleicht für alle Beteiligten am einfachsten.

2. Familienparkplätze.

Die Parkplatzsuche an der Uni ist die Hölle. Familienparkplätze für die wenigen Eltern, die es auf dem Campus gibt, hätten mir das Uni-Leben erleichtert.

3. Seminare zu kitafreundlichen Zeiten.

Ein Uni-Tag von 8 bis 16 Uhr ist lang genug.

4. Weniger Präsenzzeiten.

Ehrlich, wir sind erwachsen! Ich möchte selbst entscheiden, ob dieses Seminar oder jene Vorlesung relevant für meinen Lernerfolg sind. Bitte nur Präsenzzeiten, wenn es wirklich nötig ist und nicht, damit sich die Profs nicht wundern müssen, warum die Studierenden wohl ihren Vorlesungen fernbleiben.

5. Mutterschutz für Studentinnen.
Bis vor wenigen Jahren gab es für Studentinnen keinen Mutterschutz. Sie mussten also auch zwei Tage nach Entbindung zur Klausur, wenn sie keinen Fehlversuch haben wollten. Verrückt! Das hat sich glücklicherweise inzwischen geändert.

Zum Schluss will ich noch auf einen ganz wichtigen Aspekt eingehen: die finanzielle Sicherheit. Zum Gelingen von Vereinbarkeit brauchen wir Zeit und Flexibilität. Wir brauchen aber auch eine solide wirtschaftliche Basis. Allein vom Bafög kann heute kaum noch jemand seinen Lebensunterhalt bestreiten, geschweige denn eine Familie ernähren. Ich hatte das Glück, dass mein Mann schon länger im Job und damit finanziell abgesichert war. Das ist aber nun mal nicht die Regel. Ein Stipendium speziell für Eltern, wie du, Alu, es forderst, finde ich eine spitzen Idee! Wenn schon in der Wirtschaft allmählich ankommt, dass Eltern verdammt gute Arbeitnehmer sein können, sollten Stiftungen kapieren, was für großartige potenzielle Stipendiatinnen und Stipendiaten da draußen herumlaufen. Und im besten Fall profitieren ja gleich zwei Generationen von dem Stipendium.

Auf den ganz normalen Abend-Wahnsinn!

Es gibt ja Familien, da liegen alle Kinder spätestens um 19.30 Uhr im Bett und wachen erst am nächsten Morgen wieder auf. Wir sind nicht so eine Familie. Gerade die Mittlere schläft selten vor 21.30 Uhr ein. Oder es läuft so wie gestern Abend:

20.10 Uhr: Alle Kinder schlafen. High Five! Zum ersten Mal seit Monaten schlafen alle Kinder noch vor 21 Uhr. Der Mann und ich schmieden verwegene Pläne für den Abend. Könnten wir vielleicht sogar einen Film, statt nur einer Folge gucken? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt und so weiter. Vorher nur noch schnell einkaufen, aufräumen, mit dem Hund raus und ein Bahnticket buchen. 21.15 Uhr ist alles erledigt.

21.20 Uhr wird das Baby wach. Um 21.28 Uhr auch. Und um 21.45 Uhr. „Wie sieht es aus?“, fragt der Mann per WhatsApp während ich mit Babytochter im Bett liege.

„Ich versuche zu kommen“, antworte ich. „???“, schreibt der Mann. Zum dritten Mal schleiche ich aus dem Zimmer. Und wieder: Das Baby, gerade noch im Tiefschlaf, fragt mit verstörend klarer Stimme: „Mami?“

„Soll ich dir Gin-Tonic bringen?“, fragt der Mann um 22.15 Uhr. Inzwischen liege ich seit über einer Stunde beim Baby. Den Text hier tippe ich im Handy. Das Handy, an Abenden wie diesen meine einzige Verbindung zur Außenwelt.

22.43 Uhr: „Und?“, schreibt der Mann. Immerhin, er ist noch nicht eingeschlafen. Das Baby allerdings auch nicht. Zumindest nicht richtig. Und ich muss inzwischen richtig nötig pinkeln. Es ist ein Abwägen: Versuche ich es aufs Klo zu kommen und riskiere damit ein großes Gezeter, das womöglich noch mehr Kinder weckt? Oder halte ich noch aus, weil vielleicht, ganz vielleicht doch noch irgendetwas von diesem Abend übrig bleiben könnte. Und wenn wir auch nur eine Folge gucken. Pinkeln oder Freiheit, das ist hier die Frage.

22.49 Uhr: Das ist es wohl, was Angela Merkel einst mit alternativlos gemeint hat. Keine Chance, ich muss pinkeln.

22.51 Uhr: Das Baby bleibt ruhig. Der Fernseher bleibt aus. Dafür serviert der Mann Gin-Tonic im Badezimmer. So sitze ich auf dem Klodeckel und wir quatschen noch eine kleine Weile. Dann krieche ich ins Bett. Dort bleibe ich. Bis 23.17 Uhr. Dann ist das Baby wieder wach…

Was macht eine gute Kita aus?

Gerade wird wieder viel über die deutsche Kinderbetreuungslandschaft diskutiert, unter anderem wegen dieser Studie und dem geplanten Gute-Kita-Gesetz der Familienministerin. Es geht in der Diskussion auch um die Qualität der Einrichtungen — und jedes Mal, wenn dieses Thema aufploppt, wische ich mir in Gedanken über die Stirn. Puh, Glück gehabt! Unsere Kita ist nämlich ziemlich gut. Aber was heißt das eigentlich, eine gute Kita?

Zunächst einmal gibt es keine einheitlichen Qualitätsstandards in für Kindertagesstätten in Deutschland, was die Antwort auf diese Frage erschwert. Ohnehin ist es für Eltern meist schwierig ein vollständiges Bild einer Einrichtungen zu bekommen. Aber es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Qualität einer Kita zu beurteilen. Die Art der Ansprache, die Größe der Räume und des Außengeländes und das pädagogische Konzept etwa können erste Orientierungshilfen sein. Ebenso Fortbildungsstand der Mitarbeiter/innen und der Personalschlüssel. 2016 zum Beispiel kümmerte sich ein/e Erzieher/in im Durchschnitt um 4,2 Kleinkinder, beziehungsweise um 9,2 Kindergartenkinder (über 3 Jahre). Je nach Bundesland und auch nach Kommune können diese Werte variieren. Liegt die Quote deutlich darüber, also werden deutlich mehr Kinder von einer Kraft betreut, sollten Eltern schon mal ins Grübeln kommen. Aber auch diese Zahlen sind erst einmal nur Hinweise.

Einige Qualitätsmerkmale lassen sich hingegen nur schwer bemessen, denn dabei geht es um etwas zutiefst Subjektives: das Gefühl. In der Kita unserer Kinder zum Beispiel (eine Elterninitiative) hatte ich von Anfang an ein gutes Gefühl und daher auch nie ein schlechtes Gewissen arbeiten zu gehen. Aber woher kommt das eigentlich, dieses gute Gefühl?

Ich habe die Diskussionen der vergangenen Tage zum Anlass genommen, mir ein paar Gedanken darüber zu machen, was für mich eine gute Kita ausmacht und warum ich unsere so großartig finde (was übrigens nicht heißt, dass in unserer Einrichtung alles nur toll ist, aber eben vieles). Das Ergebnis ist vorläufig, denn mir fällt sicher später noch mehr ein, und wie oben beschrieben: Es ist zutiefst subjektiv.

1. Bedürfnisorientierung
Meines Erachtens sind in einer guten Einrichtung die Bedürfnisse der Kinder zentral, die Bedürfnisse der Erzieherinnen und Erzieher und auch die der Eltern werden aber ebenso gesehen. Ich glaube, kein/e Erzieher/in unserer Kita würde sich das Label „Attachment Parenting, also die bedürfnisorientierte Erziehung, geben. Aber viele von ihnen arbeiten schon lange danach. Die Bedürfnisse der Kinder werden in vielen Fällen gesehen und ernst genommen und sie versuchen, diesen Bedürfnissen Rechnung zu tragen — solange sie mit denen der anderen vereinbar sind. Diese Grundhaltung schlägt sich in so vielen Dingen nieder, alleine schon darin, wie mit den Kindern buchstäblich auf Augenhöhe gesprochen wird. 

2. Flexibilität
Zu den Bedürfnissen der Eltern gehört übrigens auch, Job und Familie gut unter einen Hut zu bekommen. Dass unsere Kita sehr flexibel ist, etwa was die Bring- und Abholsituationen betrifft, macht es den berufstätigen Eltern deutlich leichter, Job und Familie zu vereinbaren. Dafür bin ich echt dankbar. Auch haben die Erzieherinnen und Erzieher eine große innere Flexibilität, ihre pädagogische Arbeit passen sie oft an die Impulse der Kinder an. Ein einfaches Beispiel: Neulich wollte meine Mittlere unbedingt ihr Schnitzmesser mit in die Kita nehmen. Ihr Erzieher hat daraufhin kurzerhand die Forschergruppe unterbrochen und alle durften eine Runde schnitzen.

3. Geduld
Werden die Bedürfnisse ernst genommen, ist die Basis gelegt für viele weitere, was ebenso ein gutes Gefühl bedingt. Zum Beispiel, dass die Wünsche und Sorgen der Kinder respektiert werden, mögen sie auch noch so nichtig erscheinen. Ich selbst hätte nicht die Nerven, auch die sechste Strumpfhose zu wechseln, weil die kratzt/kitzelt/komisch sitzt. Die Leute in unserer Kita haben diese Nerven. Das mag zum Job gehören, beeindruckt mich dennoch immer wieder.

4. Begeisterungsfähigkeit
Ich glaube, unsere Erzieher und Erzieherinnen haben wirklich Bock auf ihren Job. Das klingt so profan, aber doch ist es etwas ganz Wichtiges. Sie schleppen Stühle und Tische nach draußen, wenn das Wetter zum Frühstück auf dem Hof einlädt. Sie kippen Sand und Steine in die Turnhalle, wenn dort eine Wüstenlandschaft entstehen soll und sie holen auch noch fünf Minuten vor Feierabend die Wachsmalstifte heraus.

5. Gemeinschaft
In unserer Kita sind wir nicht nur Mutter und Vater von XY, sondern jeder aus unsere Familie ist Teil der Gemeinschaft. Vielleicht ist diese Nähe so ein Elterninitiativen-Ding. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass es für das Kind immer das Beste ist, wenn Eltern und Erzieher/innen (oder Lehrer/innen) einander kennen und bestenfalls an einem Strang ziehen. Dazu müssen aber beide Seiten die Bereitschaft haben, nahbar zu sein.

6. Transparenz
Das bringt mich zu einem weiteren Punkt: Transparenz. Unsere Einrichtung offen, wir Eltern können zum Frühstück bleiben oder nachmittags zum Kaffee kommen. So nehmen wir nicht nur an dem Kita-Alltag unserer Kinder teil, wir bekommen Einblicke in die tägliche Arbeit und die grundsätzliche Haltung in der pädagogischen Arbeit. Und wer das zulässt, hat — so vermute ich zumindest auch nichts zu verbergen.

7. Freiheit
Kinder brauchen Verlässlichkeit, sie brauchen aber auch die Freiheit sich entfalten zu dürfen — in ihrer Persönlichkeit und auch im täglichen Tun. Unsere Einrichtung bietet dafür Platz, in den Räumen, auf dem Außengelände und, so habe ich es zumindest im Gefühl, auch in den Herzen der Erzieherinnen und Erzieher. Sie dürfen sich verkleiden, bemalen, sie dürfen Decken und andere Materialien nach draußen schleppen und auf Bäume klettern. Sie dürfen traurig sein und ganz gewiss dürfen sie laut sein. 

Warum ich mich von Körperidealen verabschiede

Vor ein paar Tagen habe ich ein spannendes Interview mit einer sehr klugen Frau geführt. Dabei ging es um bestimmte Körperideale und welche chirurgischen Eingriffe es gibt, um diese Ideale zu erreichen. Das Interview selbst wird noch erscheinen, daher kann ich hier noch nicht ins Detail gehen, aber das Gespräch hallte lange in mir nach.

Es war einer dieser warmen Tage, die uns der Mai in diesem Jahr beschert. Ich fuhr nach dem Interview nach Hause. Dort tobten die Mädchen ausgelassen im Garten, rannten durch den Rasensprenger und freuten sich über die Spuren ihrer nassen Füße auf dem Trampolin. Sie waren ganz bei sich und mit sich und ihrem Körper im Reinen.

Ich war so angerührt. Sie wissen noch nichts von den Erwartungen, die irgendwann an sie gerichtet werden und wovon mir meine Interviewpartnerin erzählte. Wie sie als Mädchen und später als Frauen auszusehen, sich zu geben haben. Dass sie nicht zu dick sein dürfen, zu klein, zu groß, zu alt, zu jung, zu dünn, zu burschikos, zu schüchtern, zu zickig, zu laut, zu leise, die Haare zu lang oder zu kurz oder zu blond/brünette/blau oder grau. Sie wissen noch nichts von den Idealen, die so weit entrückt sind von der Wirklichkeit, dass sie erreichen zu wollen nur krank machen kann.

Sie sind so frei. Und ich frage mich, warum wir Erwachsenen das nicht mehr sind. Was ist passiert, dass wir angefangen haben, unsere Körper, die uns einst auf dem Trampolin springen ließen, nun als etwas zu empfinden, gegen das man arbeiten muss? Das man im Zaum halten, hart trainieren, geißeln muss?

Mir ging es an diesem Nachmittag ähnlich wie Taryn Brumfitt in ihrer Dokumentation „Embrace“ (dieser Film, der dank Nora Tschirner in Deutschland so Furore gemacht hat). Darin erzählt sie, wie die Vorstellung daran, ihre Tochter würde auch einmal anfangen mit ihrem Körper zu hadern, das Herz gebrochen hat. Zuvor hatte sie selbst ihren Mutterkörper mit all den Makeln und Schwangerschaftskilos unter großem Aufwand für einen Bodybuilding-Wettbewerb gestählt — um dann festzustellen, dass sie auch mit diesem Fitness-Körper nicht glücklich war.

Nun muss ich glücklicherweise keinen Bodybuilding-Wettbewerb absolvieren, um mir Gedanken darüber zu machen, mit welchem Selbstbild meine Töchter aufwachsen sollen — und welchen Anteil ich daran habe und haben kann.

Eltern als Rollenvorbilder

Entwicklungspsychologische Studien zeigen, dass Eltern den größten Einfluss auf das Körperbild ihrer Söhne und Töchter nehmen, erst dann folgen Medien und Gleichaltrige (vgl. McCabe & Ricciadelli 2003; Stanford & McCabe 2006). Wir Eltern fungieren also als Rollenvorbilder; wie wir zu unseren Körpern stehen und wie wir mit ihnen umgehen, geben wir an unsere Kinder weiter. Und ich will ihnen kein Modell dafür sein, ein Leben lang unglücklich mit sich zu sein.

Mir ist klar, dass es gesellschaftliche Normvorstellungen gibt, dass auch ich nicht gänzlich frei bin von den Bildern, die über sämtliche medialen Kanäle auch in meinem Hirn landen und dort meine Schönheitsideale konstruieren. Auch ich spüre manchmal den Druck, so oder so aussehen zu müssen. Aber mit jedem Kind hat auch dieser Druck in mir mehr Gegengewicht (Achtung Wortspiel) bekommen.

Da ist zum einen die Vernunft, die mir sagt, dass diese ganzen Schönheitsideale großer Quatsch sind. Selbst die Models sind ja nicht hübsch genug, um ohne Photoshop auf die Titelseiten und Plakate zu kommen, wie also sollte ich das sein?!

Dann ist da der Trotz, der ohnehin ein Problem mit dem Anpassen hat. Richten x und y ganz besonders irrsinnige Erwartungen an mich, schaltet sich der Trotz automatisch ein. Dann beiße ich genüsslich in den Schokoriegel und zeige x und y gedanklich den Mittelfinger.

Freude über das Leben

Am lautesten in mir ist aber inzwischen die Freude. Die Freude über das Leben. Die funktioniert so wunderbar, weil sie den Blick aufs Wesentliche lenkt. Absurde Erwartungen über mein Äußeres nehme ich schlicht nicht mehr so wahr. Klar, mein Körper hat sich verändert seit ich Mutter bin. Wie kommen wir bitte auf die abwegige Idee, das könnte anders sein?!

Nach der Geburt meiner dritten Tochter habe ich zu meinem Mann gesagt: „Wenn ich irgendwann anfangen werde an meinem Körper herumzumäkeln, erinnere mich an genau diesen Punkt!“ Ich hatte gerade ein 4,2-Kilo-Sternengucker-Baby zur Welt gebracht und dieser Körper war stark. So stark!

Dieser Körper trägt mich durch diese Welt, er kann Kinder zur Welt bringen, sie ernähren, er kann Menschen in den Arm nehmen und Schränke in den zweiten Stock schleppen, er kann sogar Trampolin springen. Meine Freundin, deren Körper so krank war, dass sie noch während unserer Uni-Zeit starb, sie hätte sicher gerne meinen gehabt. Nicht perfekt und gerade sicher auch nicht top in Form. Aber ein akzeptabler, gesunder Körper.

Ich weiß, dass es viele Menschen und gerade Mütter nicht so empfinden. Dass sie mit ihrem neuen Körper hadern, dass sich einige operieren lassen und dass es einigen nach so einem Eingriff sogar besser geht. Das finde ich völlig in Ordnung, denn dahinter stecken immer persönliche Geschichten und Schicksale und jeder ist völlig frei darin, eigene Entscheidungen zu treffen. Auch glaube ich nicht, dass man sich schön fühlen muss. Ich denke schlicht, dass es so viel Wichtigeres als Schönheit gibt. 

Auch ich finde nicht jeden Tag spitze, was ich im Spiegel sehe. Aber an den meisten Tagen blicke ich in den Spiegel und sehe so viel Leben. Meins und das meiner Kinder. Und ja, auch viele Spuren davon. Aber hey, das mit dem Leben, das finde ich wirklich schön!

Liebe kinderlose Freundinnen, was ich euch noch sagen wollte… 

Neulich war meine (kinderlose) Freundin für ein paar Tage zu Besuch, was meine Töchter gleichermaßen freut wie mich. Sie gehen nämlich selbstverständlich davon aus, dass meine Freundinnen auch ihre sind.

Dieser Besuch hat mich noch einmal nachdenken lassen über meine Freundschaften. Viele meiner Freundinnen haben keine Kinder. Oder noch keine Kinder. So genau weiß ich das nicht, vielleicht ebenso wenig wie sie selbst. Wie alles im Leben sind auch Freundschaften dynamische Gebilde, denn so wie das Leben der einen spielt, so läuft das Leben der anderen vielleicht in eine ganz andere Richtung.

Es gibt ja dieses Sprichwort „Es braucht ein ganzes Dorf um ein Kind großzuziehen“. Da ist viel dran, und darin steckt noch so viel mehr. Ich bin mir sicher: Es braucht ein ganzes Dorf, damit ein MENSCH gut gedeihen kann. Auch als Erwachsene brauche ich meine Dorfgemeinschaft, meine Freundschaften, um zu wachsen.

Und gerade als Mutter brauche ich auch euch, liebe kinderlosen Freunde und Freundinnen. Ihr wohnt nebenan, in einer anderen Stadt oder auch in einem anderem Land. Wir sehen uns oft, manchmal telefonieren wir auch bloß. Manchmal ist es auch nur eine kurze WhatsApp, die uns wieder zusammenbringt. Es könnte so vieles geben, das uns als Freundinnen trennt — viel mehr haben wir aber, das uns verbindet.

Was ich euch noch sagen wollte:

Ihr habt zwar keine eigenen, aber ihr habt meine Kinder. Mal nur für einen kurzen Moment, wenn ihr ihnen gerade ein Buch vorlest, mal auch ein ganzes Wochenende.

Ihr habt die Nerven, wenn ich sie nicht habe. Wenn ich abends heule, weil das Kind nach zwei Stunden (mal wieder) nicht einschlafen will, übernehmt ihr das einfach am nächsten Abend.

Ihr habt den Blick für die weite Welt, ich hingegen schaffe es kaum hinaus über den Gartenzaun zu schauen.

Ihr habt die Worte, die mir fehlen. Dieser Erwachsenensprech, diese Themen, über die alle gerade im Büro, in der Bar, auf Konferenzen sprechen. Meine Worte kreisen gerade eher im Kita-Kosmos.

Ihr habt die Leichtigkeit, eine ganze Nacht lang durchzutanzen. Allein die Vorstellung daran, das auch mal wieder mit euch machen zu können, hilft durch diese durchwachten Nächte.

Ihr habt Zeit, auch wenn ihr das manchmal selbst nicht seht. Ihr habt so viel Zeit, dass ihr bei Verabredungen mit mir einfach sagt: „Wie es dir passt!“ Ich hingegen sage: „Ich muss gucken!“

Ihr habt Geduld, weil ihr wisst, dass auch ich irgendwann wieder zur Verabredung sagen kann: „Wie es dir passt!“

Manchmal habt ihr auch die Sorge, dass eure Sorgen lächerlich wirken, wenn ich euch von meinen erzähle. Ich kann euch versichern: Das tun sie nicht!

Ihr seid mein Dorf, liebe Freundinnen (mit und ohne Kindern), und ich bin dankbar, dass es euch gibt!

Macht das Mutter-Sein einen anderen Menschen aus uns?

Eigentlich ist der Muttertag bei uns zuhause keine große Sache — vielleicht, weil meine Mutter schon immer diesen Tag irgendwie doof fand. Nun nutze ich aber diesen verregneten Muttertagssonntag, um noch einmal in meinem Archiv zu wühlen. Tatsächlich gibt es nämlich einen Artikel, an dem meine Mutter und ich gemeinsam gearbeitet haben. Und der ja doch zu diesem Tag heute passt und noch immer aktuell ist.

Macht das Mutter-Sein eigentlich einen anderen Menschen aus mir? Wie sehr verändern wir uns, wenn wir Eltern werden? Das habe ich mich vor einiger Zeit in einer Titelgeschichte für die ELTERN gefragt und das dazu geschrieben:

„Oh, was habe ich mich nach der Geburt meiner ersten Tochter bemüht, mich nicht zu verändern. Ich wollte unbedingt die alte Leonie bleiben, habe mein Baby auf WG-Partys und in den Hörsaal mitgeschleppt. 23 Jahre alt war ich da. 

Irgendwann hatte ich das Gefühl, durch die Angst vor der Veränderung etwas viel Wichtigeres zu verpassen: Die Chance auf so viel Neues, neue Gedanken, neue Gefühle, so viele neue Perspektiven und Träume, die das Mutter-Sein neben den durchwachten Nächten und nicht erlebten Partys mit sich bringt. Natürlich wollte ich nicht alles hinter mir lassen, meine Freundschaften aufkündigen und von vorne anfangen. Aber meine Tochter hatte nun mal mein Leben auf den Kopf gestellt – dann wollte ich doch bitte auch das Beste daraus machen!

Ich denke nicht, dass die Mutterschaft einen ganz anderen Menschen aus mir gemacht hat. Vielleicht bin ich kritischer geworden und gleichzeitig gelassener. Bestimmt hat sich etwas verschoben. Prioritäten zum Beispiel: Ich arbeite sehr gern, mache aber längst nicht mehr jeden Quatsch mit. Ich gehe immer noch gerne aus, muss aber nicht mehr die Letzte auf der Party sein. Auch Beziehungen haben sich verändert: Einige Freundschaften sind auf halbem Wege zwischen Uni, Job und Kinderkriegen verloren gegangen – andere haben dafür an Fahrt aufgenommen. Vielleicht wäre das aber auch ohne Kinder passiert…“

Antwort von Mama

Für diesen Artikel habe ich aber eben nicht nur Selbstgespräche geführt, ich habe auch andere gefragt, ob das Mutter-Sein mich verändert hat. Neben anderen Familienmitgliedern und Freunden hat mir auch meine Mama geantwortet:

„Ich denke schon, dass dich dein Mutter-Sein sehr geformt hat. Und ich glaube, dass deine Kinder dir dabei sehr behilflich sind, dich im positivsten Sinne des Wortes zu beschränken. Du bist ein Mensch mit viel Kraft, mit vielen Talenten, mit viel Neugier und Lebenslust, was ich früher manches Mal mit Besorgnis zur Kenntnis genommen habe, weil ich fürchtete, du würdest dich unterwegs im grenzenlos-Sein verlieren. Heute erlebe ich, dass deine Mädchen dich durch ihre bedingungslose Liebe klarer, deutlicher und konturierter machen. Und so, wie man sagt, dass man Kindern Flügel geben soll, glaube ich, dass Kindern den Eltern Wurzeln geben – bei dir war und ist das sicher so. Und vielleicht hat das auch mit diesen Wurzeln zu tun, dass wir beide uns heute auch als Mütter gegenseitig mit Respekt und Wertschätzung begegnen.“

Neulich habe ich in einem Interview mit einer Psychologie-Professorin gelesen, dass sich die Persönlichkeit ein Leben lang noch ändern kann. Also, liebe Mama, vielleicht findest du diesen Tag heute ja inzwischen gar nicht mehr so doof. In diesem Sinne: Alles Gute zum Muttertag!

Welcome to Spießerhausen! Warum wir im Neubaugebiet wohnen

Gerade haben wir den Parkettboden verlegt. Eiche, handgehobelt, natur geölt. In unserem neuen Haus. Wir haben uns festgelegt: Die nächsten Jahre oder gar Jahrzehnte wohnen wir mit unseren drei Kindern und einem Hund in einer Doppelhaushälfte in einem Neubaugebiet. Welcome to Spießerhausen. What the fuck!

Noch vor zehn Jahren hätte ich mich eher in einer Altbauwohnung in Hamburg-Eppendorf, einem Loft in Manhattan, einer Strandhütte in Goa oder in einem Bauwagen im Berliner Umland gesehen. Ein Roadtrip durch Südamerika hätte mir damals weniger Angst gemacht, als die Vorstellung von Putzpartys im Klinkerbau. Urbanität, Kosmopolitismus, Liberalismus — alles Dinge, die meiner Generation (die Y-ler) wohl besonders wichtig sind und von dem mein Leben gerade meilenweit entfernt ist.

Zurück in meine Heimatstadt, ein Haus im Neubaugebiet — ein kleiner Teil in mir hat es am Anfang als eine Art Niederlage empfunden. Die große Sorge: Ein Leben in der Durchschnittlichkeit, eingemeißelt in die lupenreine Hausfassade. Aber was soll ich sagen?! Ich liebe dieses Leben!

Kinder können uns ein ganz großes Geschenk mitbringen, sofern wir sie denn lassen. Dieses Geschenk klingt so gar nicht prätentiös, es lässt sich nur schlecht in Szene setzen und manch einem kann es gar einen ganz schönen Schreck einjagen. Und trotzdem gehört es zu den besten Dingen, die ich je bekommen habe — es ist die Bodenhaftung.

Die fühlt sich manchmal nach Betonschuhen an. Viel öfter aber nach geerdet sein, ankommen, ein Zuhause haben. Inzwischen habe ich verstanden, dass Heimat kein Ort ist. Es ist ein Gefühl. Und wenn man sich erst darauf eingelassen hat, schärft sich der Blick für all die tollen Dinge, die einem zuhause begegnen können. Sogar in Spießerhausen:

 

1.Gemeinschaft
Wir haben weder Lieferando oder Deliveroo, dafür haben wir eine Art Foodsharing in der Nachbarschaft: Einer in der Straße hat aber immer Eier, Nudeln oder Parmesan im Haus, wenn die bei uns mal wieder fehlen. Genauso wie einen Rasenmäher oder helfende Hände, wenn die neue Ikea-Kommode ins Dachgeschoss geschleppt werden muss. Und wir grüßen uns auf der Straße — mit Namen!

 

2. Überschaubarkeit
Hier im Baugebiet haben wir auch keinen Deli oder Späti, nur einen profanen Bäcker. Zu dem kann aber schon meine Vierjährige alleine gehen und Brötchen holen. Siedlung und Stadt sind groß genug, um den Mädchen Raum zum Wachsen zu geben, und überschaubar genug, um sie ohne Sorgen ziehen zu lassen.

 

3. Freiheit
Die Kinder klingeln, wenn sie spielen wollen. Keine Play-Dates in WhatsApp-Gruppen (was vor allem Freiheit für uns Eltern bedeutet). Die Kinder fahren auf Rollern durch die Straßen und bauen Buden in den Büschen am Spielplatz. Sie fahren mit ihren Cousins Go-Kart auf der Straße — ohne, dass ich sie sehe! Sie kommen nach Hause, wenn die Laternen angehen.

 

4. Freundschaft
Unsere Nachbarn sind zu unseren Freunden geworden, mit denen wir grillen und die sich auch spontan in der Nacht um die Kinder kümmern, wenn plötzlich der Weg in die Notfallambulanz ansteht. Aber auch die Kinder knüpfen Freundschaften, vielleicht fürs Leben, vielleicht nur für eine kleine Weile. Sie fahren morgens zusammen mit dem Bus zur Schule und am Nachmittag spielen sie in der Siedlung. Und manchmal schleppen sie am Abend die Bettwäsche zum Übernachten über die Straße.

 

5. Familie
Meine Schwester wohnt mit ihren vier Kindern etwa 100 Meter entfernt. Nicht im Baugebiet, aber in der Nähe wohnen mein Bruder mit seinem Sohn und meine Mutter. Auch meine Schwiegermutter ist in einer halben Stunde bei uns zuhause. Wie schön die Nähe der Familie ist, hängt immer auch von der Beziehung zu den Familienmitgliedern ab. Bei uns ist es an den allermeisten Tagen ein Segen, dass wir alle so nah beieinander wohnen.

 

6. Sauberkeit
Das ist vielleicht ein Spießerding, aber machen wir uns doch nichts vor: Mit Kindern ist es schon schön, wenn weder Scherben noch gebrauchte Spritzen im Vorgarten liegen. Aber klar: Das andere Extrem, etwa ein putzteufeliger Nachbar, der auch von mir eine auf den Millimeter genau gestutzte Rasenkante erwartet, wäre für mich ähnlich furchtbar.

 

7. Bezahlbarkeit
Neulich habe ich die Immobilienseite der Süddeutschen Zeitung durchgesehen: Dreizimmerwohnung in München, Kaufpreis 750.000 Euro. Das ist doch verrückt! Wir haben gerade unser Haus gekauft und glauben, dass wir mit unserem Mittelschichtseinkommen die Summe am Ende der Kreditlaufzeit tatsächlich auch bewältigen zu können.

 

8. Natur
Genau zwei Minuten und 15 Sekunden laufen wir zum nahegelegenen See. Haben wir ihn halbumrundet, können wir in die großen Wälder rund um unsere Stadt verschwinden. Inzwischen kennen sich die Kinder deutlich besser mit Kräutern und Krabbeltieren aus als wir Eltern.

 

9. Individualität
Viele dieser Menschen hier in der Siedlung haben einen ähnlichen, verschwurbelten Sinn für Ästhetik und so säumen Gabionenwände und Steinhaufen die Vorgärten und Einfahrten dieser Siedlung. Bei so viel Konformität ist es ein Leichtes, einen auf ganz individuell zu machen. Mit dem Wildwuchs im Garten sind wir jedenfalls die Rebellen im Reich der Steingärten. Hier gibt es vielleicht keine Vintage-Läden, dafür aber das Second-Hand-Kaufhaus der Diakonie. Die Sachen dort sind ähnlich hässlich ironisch schick.

 

10. Exit-Strategie
Ich glaube nicht, dass ich jemals die Sehnsucht nach der großen weiten Welt verlieren werde. Packt sie mich akut, fahre ich in die nächstgelegene Großstadt oder fliege wenigstens einmal im Jahr übers Wochenende in eine der Metropolen Europas. Wir planen nicht, bis an unser Lebensende hier zu wohnen. Wie das Leben spielt, wissen wir nicht. In 15, 20 Jahren sind unsere Kinder schon ziemlich groß und wir noch jung genug, irgendwo anders neu anzufangen — sollten wir noch immer Lust darauf haben.