Ich habe ein paar Tage mit diesem Text gewartet. Um nicht im Affekt einfach drauflos zu brüllen. Die Krise, sie ist da und betrifft uns alle. Von uns allen wird, zurecht, Solidarität erwartet. Und ich bin gerne solidarisch. Natürlich haben wir älteren Nachbarn Hilfe angeboten. Und natürlich halten wir uns mit sozialen Kontakten zurück. Wir alle sollten solidarisch sein — aber wir alle brauchen auch die Solidarität. Ja, auch Familien.
Die Kinder spüren natürlich die Krisenstimmung. Unsere Aufgabe als Eltern ist es, sie aufzufangen. Ihnen die Sorgen und Ängste zu nehmen. Die Kinder sind traurig und frustriert, weil auch ihr Alltag sehr eingeschränkt ist. Nur können nicht alle verstehen, warum. Wir Eltern fangen das auf. Die Kinder sind nicht ausgelastet, weil nicht jede Familie das Glück hat, einen großen Garten oder den Wald direkt ums Eck zu haben. Wir Eltern versuchen, das irgendwie zu kompensieren. Das machen wir, während wir — quasi nebenbei — im Homeoffice arbeiten sollen. Manchmal gelingt es, manchmal nicht. Ich glaube nicht, dass uns weitere zehn Tipps für einen gelingenden Homeoffice-Tag mit Kindern helfen. Was uns stattdessen helfen kann? Unter anderem das hier:
Wir brauchen nicht nur Homeoffice, wir brauchen Arbeitgeber mit realistischen Erwartungen. Die wissen, dass der Job eben nicht in gleichem Umfang von zuhause erledigt werden kann, solange Kitas und Schulen noch geschlossen sind. Die selbstverständlich bereit sind, in dieser Krise die Last auf viele Schultern zu verteilen — und das Krisenmanagement nicht an die Familien weiterreichen.
Wir brauchen keine weiteren Kosten, wir brauchen finanzielle Entlastung. Denn gerade Familien sind besonders oft von Geldsorgen betroffen. Gerade zahlen sie Kitagebühren für eine Betreuung, die nicht stattfindet, und sollen die Zeit mit Urlaubstagen oder unbezahltem Urlaub überbrücken. Unbezahlten Urlaub muss man sich aber leisten können. Und die Urlaubstage gehen all zu oft für die Schließungszeiten der Betreuungseinrichtungen drauf. Alleine in den Sommerferien fallen dazu mindestens 15 Urlaubstage an. Geht ein Schulkind nicht in die OGS, sind es sogar bedeutend mehr.
Wir brauchen kein Elternbashing, wir brauchen eine Gemeinschaft, die auch mit Kindern solidarisch ist. Schul-, Kita- und sogar Spielplatzschließungen haben sicher ihre Berechtigung. Aber bitte hört auf, Kinder, die im Wald spazieren gehen oder mit ihrer Familie eine kleine Radtour unternehmen, als Seuchenvögel zu betrachten. Solange es keine Ausgangssperre gibt, dürfen und sollen Familien doch so viel Zeit wie möglich an der frischen Luft verbringen (in entsprechendem Rahmen, versteht sich). Natürlich gibt es Leute, die sich nicht daran halten. Ein Ärgernis. Aber die allermeisten schränken sich ganz schön ein. Gerade online aber wird gebashed, was das Zeug hält. Und eben nicht nur über große Ansammlungen auf Spielplätzen. Manche scheinen für jedes Kind im öffentlichen Raum am liebsten das Ordnungsamt herbeizurufen wollen. Uff! Ein Grund, warum ich mich gerade in den sozialen Netzwerken zurückhalte. Ein weiterer Grund ist der:
Wir brauchen keine Basteltipps, wir brauchen mehr Realität im Netz. Die zehn kreativen Ideen mit Kindern mögen manchen Familienalltag bereichern, aber es ist auch völlig okay, einen Kacktag vorm Fernseher zu haben. Wir müssen nicht auch noch in Krisenzeiten die perfekten Eltern sein, die pädagogisch wertvoll und natürlich ganz harmonisch mit den Kindern stundenlang Blüten und Ostereier ausprickeln. Wir brauchen mehr Menschen, die uns zeigen: Wir sind nicht alleine mit dem Scheiß! Die Kinder streiten, sie gucken fern, der Haushalt sieht bescheiden aus. Denn so ist es doch in den allermeisten Fällen, oder?
Wir brauchen keinen Homeschooling-Wettbewerb, wir brauchen weniger Erwartungen. Die Situation ist schon ätzend genug, wir brauchen daher keinen Homeschooling-Marathon. Lasst die Kinder lesen, wenn sie wollen, lasst sie mit der Lupe durch den Garten laufen und auf dem Trampolin die besten Sprünge üben. Da lernen sie auch jede Menge. Schön, dass die Lehrer*innen so viel Material zusammenstellen und wenn die Kinder gerne lernen, super! Aber wenn das Lernen nur noch Krampf ist, lasst es sein. Schraubt eure Erwartungen an euch runter und liebe Lehrer*innen, schraubt auch ihr eure Erwartungen runter. Im besten Fall lernen die Kinder in dieser Krise ganz wesentliche Dinge fürs Leben. Dinge, die wir alle gut gebrauchen können — Solidarität zum Beispiel.