Liebe Arbeitswelt, ich bin Mutter und ich habe ein Gehirn!

Guten Tag, ich bin bereit! Sind Sie es auch? Vielleicht sollten wir Mütter diese Frage das nächste Mal stellen, wenn wir beim Vorstellungsgespräch, bei Rückkehr- oder bei Perspektivgesprächen unseren Chefs (ja, hier bewusst das generische Maskulinum gewählt) gegenübersitzen. Ich mein, vielleicht kam das Jahr 2019 auch ziemlich überraschend für sie. Wer hätte denn auch ahnen können, dass Frauen heute studieren oder eine Ausbildung machen, um dann nicht nur irgendeinen Job machen zu wollen, sondern einen, für den sie tatsächlich qualifiziert sind. 

Wie auch ich verlassen viele Frauen in meinem Umfeld gerade die Phase, in der die Kinder klein und der Schlaf kurz ist. Es ist diese Zeit, in der wir spüren: Die Kinder brauchen nicht mehr unsere geballte Aufmerksamkeit. Da wird wieder Energie frei! Dabei wollen wir nicht nur einen Fuß wieder hineinsetzen ins Berufsleben. Wir wollen mit beiden Füßen fest im Job stehen – und schauen, wie weit wir kommen könnten. Ob wir dazu aber überhaupt die Chance bekommen, ist eine ganz andere Frage. 

Immer wieder höre und erlebe ich noch immer, wie Mütter und solche, die es mal werden könnten, ausgebremst werden. Wie Gehaltserhöhungen nicht gehen („Sie sind doch gerade erst aus der Elternzeit zurück“, sagte der Chef — eineinhalb Jahre nach der Rückkehr…), Beförderungen nicht kommen, weil sie ja NOCH KEINE Kinder hat oder sie bekommen gar nicht erst eine Stelle, weil Teilzeit und Jobsharing ja so viele Nachteile brächten (auch wenn man sich gerne mit dem Wort „familienfreundlich“ schmückt). Oder sie sitzen beim Bewerbungsgespräch jemandem gegenüber, der vor allem sieht, was sie alles nicht können. Eigentlich ein alter Hut. Und trotzdem noch immer aktuell. Sehr wahrscheinlich auch noch im Jahr 2020. Schließlich hängt die Bewertung eines Lebenslaufs nun einmal davon ab, wer ihn liest und was er lesen will. 

Auch für meinen Lebenslauf gibt es unterschiedliche Lesarten. Zum einen habe ich drei Kinder bekommen, was im Journalismus als ungewöhnlich oder merkwürdig (Journalistinnen bekommen noch seltener Kinder als der Durchschnitt aller Akademikerinnen) interpretiert werden könnte. Dann habe ich die Kinder auch noch während des Studiums bekommen. Was etwa dazu führte, dass ich eben nicht tausend Praktika gemacht und nicht wie geplant ins Ausland gegangen bin. Stattdessen bin ich zu Vorsorgeuntersuchungen bei meiner Frauenärztin gegangen, habe ein Kind auf die Welt gebracht, es versorgt und habe mir Sorgen gemacht. Zwar will es mir nicht in den Kopf, warum in einem Lebenslauf vier Monate Saufkoma in einer europäischen Studentenstadt wirklich geiler sein sollen als die Fähigkeit, nach monatelangem Schlafentzug immer noch recht klaren Verstandes zu sein, aber eben auch hier gilt: Alles eine Frage der Lesart. 

Übrigens arbeite ich seit meinem 19. Lebensjahr im Journalismus. Ich komme also inzwischen auf 15 Jahre Berufserfahrung. Und nein, ich habe mein Gehirn nicht bei der Geburt mit hinausgepresst (wie ich es neulich aus einer Personalabteilung hörte). Ich habe sogar die ganze Zeit weitergearbeitet. Und trotzdem treffe auch ich zuweilen auf Menschen, die ihr Augenmerk vor allem darauf legen, was ich alles nicht kann. Und das ist naturgemäß eine ganze Menge. Es gibt soo viele Texte, die ich (noch) nicht geschrieben habe. So viele Interviews, die ich nicht geführt habe. So viele Redaktionen, für die und in denen ich noch nie gearbeitet habe und vielleicht auch nicht arbeiten werde. Übrigens kann ich auch nicht häkeln. Und nicht programmieren. Und ich kann auch kein Italienisch, weswegen ich mich übrigens auch nicht als Korrespondentin in Rom bewerben würde. Aber viele andere Sachen kann ich – sogar ganz gut. 

Vor allem aber habe ich als Mutter die krassesten Skills überhaupt erworben. Leidensfähigkeit (warum fällt mir das nur als erstes ein?!) zum Beispiel, Gelassenheit, Klarheit, Übersicht, Geduld, Selbstorganisation, Multitasking und vor allem Improvisationstalent. Auch das könnte man aus der Zeile „Drei Kinder“ herauslesen, wenn man es denn wollte. 

Manche raten in Jobkolumnen aus unterschiedlichen Gründen dazu, Mutterschaft oder Elternzeiten im Lebenslauf zu verschweigen. Ich sehe das ja ganz anders. Ich finde ja, wir sollten in die Arbeitswelt hinausposaunen: „Wir sind Mütter und wir haben ein Gehirn!“ Vielleicht bin ich auch naiv, aber ich möchte wirklich, dass die Tatsache, dass ich Kinder habe, nicht als hinzunehmendes Übel, sondern ernsthaft als Bereicherung gesehen wird. Ich möchte Menschen gegenübersitzen, die sehen, was ich alles kann. Oder die zumindest sehen, was ich alles können könnte. Ja, liebe Arbeitswelt, ich bin bereit. Bist du es auch?