Als ich meine Lehrer grillte – digitale Kindheit früher und heute

Neulich fragte mich eine Freundin meiner großen Tochter nach unserem WLan-Passwort. „Warum?“, fragte ich zurück. „Weil ich mein Tablet mitgebracht habe“, sagte sie und ich fragte wieder: „Warum hast du dein Tablet mitgebracht?“ Die Antwort war simpel: „Weil ich mein Smartphone nicht gefunden habe.“ Ja, so kann der Spielbesuch in der vierten Klasse schon mal ablaufen.

Wer jetzt glaubt, es folgt eine Tirade über die furchtbar schreckliche Digitalisierung und die verkorksten Kinder und Jugendlichen, die nur auf ihre Handys starren und es damit ihren so handysüchtigen Rabenmüttern gleich tun, also wer hofft, darüber werde ich mich jetzt mal so richtig echauffieren, den muss ich leider enttäuschen. Denn irgendwie will ich nicht mit einstimmen in den Abgesang der digitalisierten Jugend.

Am Wochenende lauschte ich bei einer Veranstaltung den Worten Katja Seides, die etwas zum Thema Digitale Familie erzählte. So manch Zuhörerin rieb sich die Ohren. Hatte sie sich gerade verhört oder sagt die Frau mit dem Mikrofon tatsächlich, dass Mediennutzung an sich erst einmal gar nicht blöd machen muss. Verrückter Weise könnte sogar das Gegenteil der Fall sein, dass Kinder und Jugendliche nämlich mit Begeisterung Dinge am Bildschirm lernen. Schleim zu produzieren, zum Beispiel.

Pinterest, ein magischer Ort

Während die Bestseller-Autorin das erzählte, stieg mir wieder der Duft in die Nase, der zwei Stunden zuvor noch unsere Küche eingehüllt hatte. Die Neunjährige war gerade dabei gewesen, Maoams im Ofen schmelzen zu lassen (leider etwas zu lange), um essbare Knete herzustellen. Es war der sechste Versuch in dieser Woche, etwas Knetbares zu produzieren — alle Infos dazu hatte sie bei Pinterest gefunden. Die Große malt, bastelt, sammelt, baut, modelliert und experimentiert was das Zeug hält. Pinterest ist für sie mit ihrer Krämerseele ein magischer Ort, eine unendliche Geschichte. Inzwischen hat sie sich auch im Programmieren geübt, ebenfalls eine Disziplin für Tüftlerinnen wie sie. 

Ich halte Mediennutzung also nicht per se für schlecht. Manchmal ist sie gut, wenn die Große Knete produzieren oder Baumhäuser bauen möchte. Oder wenn ich einfach mal in Ruhe kochen will. Dann freue ich mich über den Netflix-Account und darüber, dass alle drei Kinder eine halbe Stunde lang Ruhe geben. Am liebsten schauen sie gerade übrigens Die Pfefferkörner. Eine Sendung, die ich als Kind nie geguckt hätte.

Selektive Programmgestaltung

Das ist nämlich auch noch so eine Sache: Seit wir nicht mehr auf das lineare Fernsehen angewiesen sind und die Programmauswahl deutlich selektiver gestalten können, sehen die Kinder nur die Inhalte, die sie auch sehen wollen — und von denen wir wollen, dass sie sie sehen. Das hat auch zur Folge, dass die Mädchen mit uns liebend gerne Fußball schauen, weil in der Halbzeit immer Werbung kommt. Dass dort vorrangig Bier, Sportwetten und Kreditkarten beworben werden, ist ihnen egal. Dieses ihnen sonst so unbekannte Konzept der Werbeunterbrechung scheint sie zu faszinieren.

Wenn ich mir die Mediennutzung unserer Töchter anschaue, dann steht sie doch im starken Kontrast zu meiner als ich in ihrem Alter war. Ein größeres Angebot muss nämlich nicht analog zu höherem Konsum stehen. Ich habe damals geguckt, was im Fernsehen lief, übrigens durchgehend vom Nachmittag bis zum Abendessen und an den Wochenenden vom Aufstehen bis zum Mittagessen. Und dann war da nichts mit Pfefferkörner, ich habe Roseanne geliebt und die Bill Cosby Show, Hart aber herzlich und Thunder in Paradise geguckt. Die Simpsons natürlich ununterbrochen und früher, als ich noch viel kleiner war, Tom und Jerry. Das fand ich nie toll, aber es war halt da.

Meine Mutter hatte sich darüber weniger Gedanken gemacht, obwohl ich trotzdem sagen würde, behütet aufgewachsen zu sein. Sie war für dieses Thema einfach nicht so sensibilisiert. Als ich mal an einer Umfrage teilnahm und als Lieblingsfilm Pulp Fiction angab (da war ich gerade 12), hat sie erst aus der Reaktion meines Gegenübers schließen können, dass das nicht die beste Antwort gewesen war. Sie hatte schlicht keine Ahnung, was ich mit meinen Geschwistern so im Fernsehen geguckt hatte. Und das, obwohl wir nur einen Fernseher im Wohnzimmer hatten.

„Teacher Buster“ am C64

Und wir besaßen einen C64, zudem auch das Spiele wie „Teacher Buster“ gehörten. So konnte ich meine potenziellen Lehrer schon mit einem Flammenwerfer malträtieren, ehe ich überhaupt in die Grundschule ging. Dass meine Töchter heute so ein Spiel spielen, ist für mich unvorstellbar. Selbst die Große hat bislang Filme wie Harry Potter TEIL 1 vor lauter Grusel ausmachen müssen, der Fünfjährigen sind zuweilen schon die Schlümpfe zu spannend.

Ich glaube, viele Eltern sind heute kritischer und reflektierter in Sachen Mediennutzung, als es die Elterngenerationen vorher je waren. Und durchaus restriktiver: Unsere Töchter zum Bespiel schauen deutlich weniger fern als ich früher. Ich wollte auch nie, dass das Fernsehen in unserem Alltag ritualisiert und institutionalisiert wird. Daher gibt es bei uns zum Beispiel kein tägliches Sandmännchen-Gucken vor dem Schlafengehen. Ohnehin ist der Fernseher längst nicht täglich an. Ein Smartphone haben die Mädchen auch nicht. Aber bei uns gibt es auch keine künstlichen Zeitvorgaben wie eine halbe Stunde Medienzeit, weil Folgen eben auch mal 20 oder 40 Minuten dauern und das Basteltutorial so schnell vielleicht nicht zu Ende ist.

Ich finde es wichtig, sich etwaiger Gefahren der digitalisierten Welt bewusst zu sein und die Kinder gut zu begleiten. Ich glaube auch, dass exzessiver Medienkonsum nicht gut ist. Nichts ist wohl wirklich gut, wenn es exzessiv betrieben wird. Ich bin mir sicher, dass Kinder raus in die Natur müssen, dass sie sich in Dingen verlieren können sollten, dass sie Langeweile erleben und aushalten müssen. Und dass ihnen etwas fehlt, wenn sie all das nicht erleben. Aber meine Töchter werden sicher keine schlechten Menschen, weil sie auf Pinterest nach Knete-Rezepten suchen. Auch wenn ich das WLan-Passwort so schnell dann doch nicht rausrücke…