Diesen Text schreibe ich um 22.25 Uhr. Ich sage das lieber vorab, wer weiß, was hier gleich noch so alles stehen wird. Denn in diesem Text geht es um Nagellack — und die großen Herausforderungen des Elternseins.
Statt zu schreiben hätte ich jetzt lieber in Ruhe vor dem Fernseher gesessen und mir die Fingernägel lackiert. Das klingt profan, oberflächlich vielleicht, aber tatsächlich spiegelt sich in meinen schrabbeligen Nägeln gerade der ganze Frust des täglichen Tuns wider.
Denn fürs Lackieren brauche ich mindestens fünf, besser noch zehn Minuten absolute Ruhe. Nicht unbedingt akustische Ruhe, aber zumindest die Gewissheit, in den nächsten Minuten niemandem die Schuhe zubinden zu müssen, kein Kaugummi aus den Haaren zu friemeln, keine Farbreste aus dem Teppichboden zu rubbeln und kein Kleinkind vom Esstisch zu klauben. Es ist 22.25 Uhr und noch immer habe ich keine Zehn-Minuten-Ruhe-Garantie.
Tagsüber ist ohnehin für nichts Zeit. Deswegen sage ich jeden Tag aufs Neue zu mir: Wenn die Kinder im Bett sind, dann mache ich endlich…mir die Fingernägel. Zum Beispiel. Und dann sitzen da drei Teufelskinder auf der Schulter und machen laut Muhahahaha.
Es ist völlig egal, wie gut organisiert wir sind, ob wir rechtzeitig Abend essen und die Betten fertig gemacht haben. Es spielt auch keine Rolle, wie der Tag oder die Woche waren, ob viel los war oder wenig. Übrigens auch nicht der Fernsehkonsum – auch wenn das Bild anderes vermuten lässt, tatsächlich bleibt bei uns der Fernseher an vielen Tagen und Abenden aus. Es ändert nichts: Sobald die abendliche Rushhour mit Abendessen, Zähneputzen und Vorlesen begonnen hat, wird irgendeines der drei Kinder plötzlich Durst, Bauchweh, Entdeckungsdrang, einen Lachkrampf, Tollwut, Weltschmerz, ein „Tanzgefühl“, Hysterie oder einfach temporär den Drang zur Revolution haben.
Ich weiß nicht mehr, wann die Kinder mal alle vor 20 Uhr geschlafen und die folgenden Stunden auch durchgeschlafen haben. Manchmal sind sie besonders fies. Dann ist um 20.30 Uhr tatsächlich Ruhe im Karton, nur damit Kind3 um 21 Uhr „Mamaaaaa!“ brüllen kann.
Dann denke ich, wenn alle unsere Kinder regelmäßig vor 22 Uhr schlafen würden, wäre das Leben schon viel einfacher. Dann hätten wir bestimmt immer ein top aufgeräumtes Haus, immer sorgfältig zusammengelegte Wäsche und alle Schul- und Kindergartentaschen wären gepackt. Ich hätte längst promoviert oder zumindest mal ein Buch gelesen. Oder aber ich wäre einfach genauso k.o., weil das Leben mit Kindern wunderbar und trotzdem immer wieder anstrengend ist. Aber vielleicht, ganz vielleicht hätte ich zumindest vernünftig lackierte Fingernägel.